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25. Juni 2018 | JUGEND

Kategorie "Mein besonderes Pferd" - Hákon (Bianka Neubauer)

Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, eher das Gegenteil war der Fall. Doch dass Hákon im wahrsten Sinne des Wortes ein Geschenk für mich sein sollte fand ich erst später heraus:

Nachdem mein damaliges Reitbeteiligungspferd Njordur verkauft wurde, wollte ich (damals 16) zuerst überhaupt nicht mehr reiten. „Wenn ich den nicht haben kann, dann will ich kein Pferd haben/reiten“, dachte ich mir. Meine Reitlehrerin wies mir dann einfach ein anderes Islandpferd als Reitbeteiligung zu und ich ließ mich überreden. Das Pferd war von einer Einstellerin zurück gelassen worden, die nach kurzer Zeit kein Interesse mehr an ihm hatte. Viele „Horrorgeschichten“ hatten sich verbreitet – Hákon sei ein Stolperer, der vom Schlachter kam; er sollte sich zusammen mit der Vorbesitzerin überschlagen haben im Gelände und noch vieles mehr. Nach dem ersten Proberitt war ich am Boden zerstört. Das Pferd war offenbar vorher nur herumgereicht worden. Die Folge: Er war komplett in sich gekehrt, hat einfach funktioniert soweit es ihm möglich war und einige körperliche Baustellen machten ihm zu schaffen. „Wer weiß, was mit dem passiert ist“, dachte ich für mich, denn außer Schweinepass war keine Gangart vorhanden. Nicht einmal Schritt hatte funktioniert. [nbsp]Nachdem ich bzw. damals noch meine Eltern dann diversen Tierärzten, Osteopathen, Chiropraktikern und ebenso den kompetenzfreien Vertretern dieser Gattungen unendlich viel Geld gezahlt hatte und unter anderem ein Beckenschiefstand diagnositziert wurde, fingen wir dann endlich an zu arbeiten. Ob jemals wieder Takt möglich sein würde, würde sich zeigen, meinten die Experten. Bewegung sei jedoch wichtig und Schmerzen habe er keine, Reiten sei also möglich. Nach einem halben Jahr nur Schritt war zumindest diese Gangart zum ersten Mal möglich und es ging weiter. Da Trab überhaupt nicht vorhanden war arbeiteten wir zuerst im Tölt (oder so ähnlich J) und dann auch am Galopp. Nach 2 langen Jahren mit unendlich vielen Rückschlägen fanden wir dann sogar noch den Trab! Ich musste weinen vor Freude…

Zum Glück fanden wir auf unserem Weg eine Begleitung für unsere unzähligen, langen Ausritte. Hákon hatte einen Freund gefunden. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass er zwar beim Reiten mit anderen Pferden absolut unkompliziert war, jedoch überhaupt nicht sozialisiert. Er verstand die Körpersprache der anderen Pferde nicht. Jeder Versuch, ihn mit einer der Herden zusammen zu führen, scheiterte. Einzig als Aufpasser auf der Junghengstweide gliederte er sich ein. Leider züchtete der Stall nicht weiter ... Die Lösung: Er möchte alleine leben. Nur so war er glücklich! Er lebt seither in seiner eigenen Luxus-Paddockbox direkt neben dem Anbindeplatz, wo täglich alle Pferde vorbei kommen. So hat er seinen eigenen Bereich und hat trotzdem den „Überblick“ über den Hof und die anderen Pferde. Muss er kurzfristig umgestellt werden, weil der Mist weggefahren wird, etc. fühlt er sich direkt unwohl, er ist wirklich nur in seinem Paddock zu Hause.

Eines Tages (2008) kam meine Mama mit zum Stall, um die neugeborenen Fohlen anzuschauen und da kam Anja (Stallbesitzerin/Reitlehrerin/Besitzerin von Hákon) zu uns mit einer Hand voll Papierkram und sagte zu meiner Mama: „Hákon gehört ab heute deiner Tochter und ein Geschenk lehnt man nicht ab!“ Nur die Wenigsten können sich vorstellen, wie ich mich fühlte. Ich hätte die ganze Welt umarmen können. Dieses Pferd, welches ich am Anfang fast emotionslos gepflegt und geritten hatte, hatte sich doch tatsächlich in mein Herz geschlichen. Ich versprach Hákon noch am gleichen Tag, dass er bis an sein Lebensende bei mir bleiben durfte und von diesem Tag an änderte sich zusammen mit meiner Einstellung ihm gegenüber alles. Nun wusste ich, dass ihn mir niemand mehr wegnehmen konnte und wir wurden die allerbesten Freunde. Er traute sich nun auch endlich mal, mir seine Meinung und Gedanken zu zeigen und wurde ein richtiges Islandpferd und ein noch besserer Freund und Begleiter.

Kurz darauf nahm ich auch mit seiner Züchterin Kontakt auf, um mehr über ihn herauszufinden. Diese erzählte mir, Hákon sei mit der Flasche aufgezogen worden, da er nach der Geburt nicht getrunken hatte. Beim Einreiten sei Hakon kooperativ gewesen, jedoch soll Galopp auf dem Reitplatz aufgrund seiner Fünfgangveranlagung kaum möglich gewesen sein. Nach einem Unfall im Gelände mit ihrem Mann sei Hákon schwer verletzt gewesen und sollte nach seiner Genesung als unreitbarer Beisteller in eine Junghengstherde verkauft werden. Von dort sei er jedoch weiter verkauft worden und sie habe die Spur zu ihm verloren, dachte gar, er lebte nicht mehr. Dankbar, dass sie zumindest ein paar seiner Geheimnisse (Beckenschiefstand, nicht herdenverträglich) gelüftet hatte, [nbsp]habe ich ihr dann zu ihrer Freude erzählt, dass er bei mir seine Lebensstellung gefunden hat.

Jedoch machten mir diese Infos auch Sorgen: reite ich die ganze Zeit auf einem unreitbaren Pferd? Was tue ich ihm da an? Quäle ich ihn vielleicht sogar? Dieser Gedanke quälte mich wiederum…

Also versuchte ich, ihn als Handpferd mitzunehmen, was jedoch genauso gut gelang, wie die Eingliederung in eine Herde: Gar nicht. Hákon wollte das Reitpferd sein und nicht das Handpferd. Er hat mir sehr oft -und auch immer wieder wenn ich zweifle- bewiesen, dass er geritten werden will. Und zwar von mir. Der Versuch, andere Personen reiten zu lassen scheiterte IMMER.

Bis eines Tages meine beste Freundin zum Stall kam, um mich zu besuchen. Sie ist früher regelmäßig geritten. Schon bei der ersten Kontaktaufnahme zu Hákon merkte ich, dass er sich gerne von ihr streicheln ließ. Dann also wagten wir den Versuch: Ich hatte ernsthafte Zweifel, ob Tina als Wiedereinsteiger mit Hákon, der ja alles andere als einfach ist, klar kommt und siehe da: es klappte gut! Er wollte mit ihr zusammen arbeiten. Dies half ihm auch über den für ihn sehr schwierigen Umstand hinweg, dass nun ein zweites Pferd in mein Leben getreten war. Er akzeptierte sie und sie wurde jahrelang meine Reitbeteiligung bis sie leider berufsbedingt wegziehen musste…

Seitdem reite ich ihn wieder selber. Und nur ich. Andere akzeptiert er einfach nicht.

Kurz darauf mussten wir leider noch einen weiteren Tiefschlag hinnehmen: Schon etwas länger hatte ich die Vermutung und nun kam die Bestätigung, dass ich Recht hatte. Diagnose: Equines Cushing Syndrom (ECS). Wieder sollte eine schwere Zeit auf uns zukommen. Die Einstellungsphase auf das Medikament stellte mich wieder auf die Probe. Tat ich das Richtige? Hákon ging es zeitweise sehr schlecht – er wollte weder angesprochen, noch angefasst werden, fraß nur nachts wenn keiner am Stall war. Und dabei war er inzwischen ein wichtiger Begleiter, Berater und vor allem Freund für mich geworden. Unsere tägliche Schmusezeit musste nun für längere Zeit ausfallen und ich war am Boden zerstört. Ein paar Wochen später zeigte sich jedoch, es war das Richtige. Er blühte wieder auf, hatte Lebensfreude und teilweise ging diese sogar soweit, dass er nun schwer händelbar war. Er buckelte und stieg beim Führen, ging durch und rannte mich sogar einmal um! Außerdem brachten die Hormone die Ordnung seiner Gänge wieder komplett durcheinander. Die weiteren Bluttests zeigten nun, dass wir die Medikation reduzieren durften und seither geht es ihm gut.

Hákon (inzwischen 22) ist nun seit mehr als 8 Jahren mein Herzens- und Seelenpferd. Er ist mir unglaublich zugewandt und begrüßt mich täglich mit „Küsschen“. Ein Leben ohne dieses Charakterpferd ist für mich undenkbar. Er versteht förmlich jedes einzelne meiner Worte und manchmal meint man, das Grinsen in seinem Gesicht erkennen zu können, wenn er mal wieder etwas angestellt hat, von dem er genau weiß, er darf es nicht J. [nbsp]Alles was er von mir fordert ist Zeit und Liebe. Und ich bekomme dafür so unendlich viel von ihm zurück.

Wir genießen noch gemeinsame Ausritte durch die Natur – am liebsten alleine. Inzwischen haben wir eine Zweierherde gegründet, die so fest verbunden ist, dass sie keiner trennen kann. Jeder im Stall weiß, dass mein „Mammut“ etwas Besonderes ist. Und ich weiß, wenn er eines Tages für immer gehen muss, dann geht ein Teil von mir mit.

Bianka Neubauer, 26 Jahre