News

04. Juli 2011 | VERBAND

Pferde bringen Kinderseelen ins Lot

Für Manja* geht ein Traum in Erfüllung. Das Kind steigt auf eins der fuchsfarbenen Islandpferde und genießt den Körperkontakt mit der Stute. „Wenn das hyperaktive Mädchen in die Pferdewelt eintaucht, kann es alles andere vergessen“, erklärt Christine Franke. Und das ist gut so. Denn die 8-Jährige ist eins der Kinder, die mit Angeboten wie dem Reiten zu therapeutischen Zwecken ihre Traumata bewältigen lernen, sagt die Leiterin einer intensiv betreuten Wohngruppe.[nbsp]

Dass diese und weitere Reitstunden möglich wurden, ist dem „Haselhof“ in Möhrsdorf und dem Verein der Islandpferdefreunde Haselbachtal e.V. zu verdanken. Als Christine Franke im März die Vereinsvorsitzende ansprach, ließ sich Ellen Beate Storrer nicht lange bitten. Sie suchte und fand Sponsoren. Ein privater Geldgeber aus Stuttgart finanziert das Reiten. Die Helmfabrik Casco in Ohorn und der Reitbedarf Schmautz in Bautzen schenkten den Kindern die Reitausrüstung und die Nürnberger Versicherung sichert das Ganze für drei Jahre ab.[nbsp]

Einfühlsam leitet Reitlehrerin und Pferdewirtin Angie Storrer vom „Haselhof“ die Kinder an. Die 23-Jährige, die seit ihrem ersten Lebensjahr auf Pferden sitzt, hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Mit ihrer Pferdeerfahrung wird sie den Kindern in den nächsten Monaten zu eindrucksvollen Erlebnissen verhelfen und dabei deren Selbstwertgefühl stärken. Gemeinsam mit Reitlehrerin Lena Merfeld und den Kindern geht es dann zum Ausritt.[nbsp]

Ein Zuhause auf Zeit[nbsp]
Die intensiv betreute Wohngruppe gibt es seit November. Sozialpädagogin Christine Franke (57) und Erzieherin Sylvia Rein (51) stellten sich damit auf eigene Füße, nachdem beide zuvor mehr als 20 Jahre leitend in therapeutischen Einrichtungen tätig waren. „Mit der Gründung unserer eigenen Jugendhilfe-Einrichtung können wir unsere Ideale zu 100 Prozent umsetzen“, sagt Sylvia Rein. Ein passendes Domizil fanden die Frauen aus Königsbrück in Pulsnitz: ein Haus mit Einzelzimmern für jeden Bewohner, dazu Gemeinschaftsräume, Dachterrasse, Therapieraum, Werkstatt und Garten. Sieben Kinder zwischen 7 und 12 Jahren betreuen sie dort. „Die Kinder kamen nacheinander zu uns, so konnten wir uns auf jedes gut einstellen“, erklärt die Erzieherin. Wie ein Familienersatz mit sechs Geschwistern ist die Gruppe für die Kinder. Sie sind impulsiv, hibbelig, mit schwankenden Stimmungen, aber auch sehr anlehnungsbedürftig. „In der Pulsnitzer Schule werden die Kinder integriert. Das gefällt uns sehr gut, weil wir es auch schon anders erlebt haben“, sagt Christine Franke.[nbsp]
Die Mädchen und Jungen kommen hauptsächlich aus Dresden. Fast alle haben in den Familien Gewalt erfahren, sind dadurch in ihrer Entwicklung verzögert oder psychisch krank. Das geht einher mit Entwicklungsstörungen und starken Verhaltensauffälligkeiten.[nbsp]

Das Jugendamt weist die Kinder in die Wohngruppe ein. In der Regel mit Zustimmung der Eltern. In Einzelfällen, zum Beispiel bei starken Alkohol- oder Drogenproblemen der Eltern, auch gegen deren Willen. „Der räumliche Abstand zum häuslichen Umfeld ist manchmal die einzige Chance, die so ein Kind überhaupt noch hat“, sagt Christine Franke. Zum Schutz des Kindes unterbindet mitunter ein Gericht den Kontakt der Eltern. Das ist aber die Ausnahme. Vielmehr geht es darum, dass das Kind eines Tages wieder in die Familie zurückkehren kann. Dazu bedarf es auch einer intensiven Elternarbeit.[nbsp]

Psychologische Betreuung, heilpädagogische und therapeutische Begleitung eines ganzen Teams sollen den Kindern helfen, die Gewalterfahrungen zu verarbeiten, seelisch und körperlich zu gesunden sowie Verhaltensmuster abzubauen, die durch Misshandlung entstehen. „Die Erfolgsquote liegt bei 75 Prozent. Das lohnt die Mühe um jedes Kind“, so Christine Franke. Zwei Jahre ist die Gruppe in der Regel ein Zuhause auf Zeit, manchmal auch bis zur Volljährigkeit. Jugendliche, die mit all dieser Hilfe ihren Platz im Leben finden, bleiben hinterher oft noch lange in Kontakt.[nbsp]

Den vier Reitkindern dieses Nachmittags auf dem „Haselhof“ steht bis dahin noch ein langer Weg bevor. Die kleine Manja klettert vom Pferd und streichelt den Hals des Tieres. Ein seltenes Lächeln huscht über ihr Gesicht.[nbsp]

*Name von der Redaktion geändert[nbsp]

Sächsische Zeitung Lokalausgabe Kamenz vom 11.06.2011[nbsp]
Von Constanze Knappe sz.kamenz@dd-v.de[nbsp]