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25. Juni 2018 | JUGEND

Kategorie "Mein besonderes Pferd" - Straumurson (Lorena Dorsch)

„Hässlich“, war mein erster Gedanke, als ich das Bild betrachtete. Ein durchgeschwitztes Pferd, das den Rücken durchdrückte, den Hals verkrampft weit oben hielt, den Kopf hoch erhoben hatte und mit zugekniffenen Augen und einem sehr harten Blick in die Ferne sah. „Den hier wirst du nächste Woche auch reiten“, stand darunter. Es war nichts Neues, dass ich für meinen Trainer Toni Pferde Probe ritt, damit er sich ein Bild von ihnen machen konnte, um sie dann weiter zu verkaufen. Deshalb dachte ich nicht weiter darüber nach und kommentierte diese Whatsapp – Nachricht nur mit einem einfachen „Okay“.

Ein paar Tage später fand ich mich auf dem Beifahrersitz meines Trainers wieder. Wir fuhren nach Tirol, auf den Hof einer befreundeten Familie. Dort sollte ich das Pony von dem Foto reiten.

Bei herrlichem Herbstlicht saßen Toni und ich auf der Bank unten im Hof und unterhielten uns. Plötzlich hörte man das Grummeln eines Jeeps und die Geräusche einer sich öffnenden Hängerklappe. Kurz darauf kam eine Frau mit einem fuchsroten Wallach am Strick zu uns. Meine Sprache versickerte im Kehlkopf. Die letzten Sonnenstrahlen ließen das Fell des Pferdes leuchten und es sah beinah so aus, als würde seine goldene Mähne glitzern. Sofort vergaß ich den oberflächlichen Eindruck, den ich bislang von ihm hatte. Wir stellten den Roten in eine Box, damit er etwas Heu fressen und sich von der Fahrt erholen konnte. Dort versuchte ich Kontakt mit ihm auf zu nehmen. Er wich meiner Hand aus und ließ sich nicht von mir anfassen. Keine Berührung ließ er zu. Dennoch hatte er dafür gesorgt, dass ich die Stallgasse mit einem Lächeln verließ.

Eine Stunde später war es soweit. Mein Trainer und ich standen in der Halle und sahen der Besitzerin dabei zu, wie sie das Pferd abritt. Nun war also ich an der Reihe. Ich saß auf und nach einigen wenigen Schritten war es, als ob wir denselben Körper hatten. Als ob für uns nur ein Herz schlagen würde. Der zuvor so widerspenstige Wallach, der kaum jemandem auf seinem Rücken geduldet hatte, schnaubte zufrieden ab. Von dem erstaunen der Besitzerin bekamen wir Beide jedoch nichts mehr mit, wir schwebten in einer Wolke voller Glück und Harmonie. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Leichtfüßig lief das Pferd unter mir und reagierte auf die winzigste Regung, die in mir vorging. Ich brauchte die Hilfen kaum auszuführen. Es war, als würde ich ihn durch reine Gedankenkraft reiten können. Die Anweisungen meines Reitlehrers hörte ich wie durch meterdicke Watte. Am Ende unseres Rittes wollte ich nicht mehr absteigen, zu schön war das Gefühl der Verbundenheit, welches ich nicht unterbrechen wollte. In all der Aufregung vergaß ich ganz zu fragen, wie er gerufen wird. Erst jetzt fragte ich wie denn sein Name sei. Die Antwort lautete: „Er heißt Straumurson.“

Das war er also. Straumurson.

Am späten Nachmittag reisten die Besitzerin und der Fuchs wieder ab. Was blieb war der ständig kursierende Name des Pferdes in meinem Kopf, mit dem ich, auf eine für mich vollkommen neue Art, verbunden war.

Die Nacht verlief weitgehend schlaflos. Immer wieder sah ich das leuchtend rote Fell, die funkelnde Mähne und die bernsteinfarbenen Augen vor mir. Am darauffolgenden Tag stand ich abends im Offenstall meiner Freundin und mistete, als ich es nicht mehr aushielt. Ich zückte das Handy und wählte die Nummer meiner Mutter. Als sie sich meldete, platzte sofort aus mir heraus: „Mama, ich habe mich verliebt.“ Ihre Antwort lautete trocken: „Oh Gott. Stute, Wallach, wie alt?“ In diesem Gespräch erzählte ich ihr von meiner Begegnung mit Straumurson.

Zum ersten Mal in meinem Leben spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, ein eigenes Pferd zu bekommen.

Am Wochenende würde mich Toni nach Hause bringen und mit meinen Eltern reden. Das entscheidende Gespräch. Ich wartete in meinem Zimmer auf ein Ergebnis und wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Alles um mich herum drehte sich, das Herz schlug mir wortwörtlich bis zum Hals und meine Hände zitterten. War das hier wirklich real? Nach gefühlten Stunden war es entschieden. Dank der Überzeugungskünste meines Trainers bekam ich ein Pferd. Ich bekam tatsächlich ein Pferd?! Ich? Wie oft ich diesen Satz an diesem Tag vor Freunde durch die Luft gerufen habe, weis ich nicht mehr.

Seit dem 18.11.2015 begleitet mich mein (B)engel nun schon, nicht immer ist es ein leichtes Unterfangen. Jedoch haben wir uns gegenseitig viel beigebracht. Körpersprache ist mir bei der Arbeit mit Pferden sehr wichtig, auch Dank Straumurson. Er hat mich gelehrt, was es bedeutet eine Herde zu führen, wie viel Selbstbeherrschung, Konzentration und Konsequenz nötig sind, um als Chef akzeptiert zu werden. Aber das wohl Wichtigste dabei ist, stets in sich zu ruhen und überzeugt zu sein von dem, was man möchte, damit es gelingen kann. Mittlerweile benötigen wir quasi keinen Strick mehr zum Führen (außer das saftige, grüne Gras ist mal wieder zu verlockend), denn zu einem Großteil verständigen wir uns über die Körpersprache und verdeutlichende Signale. Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl einfach so im Reitplatz zu sitzen und als wertiges Mitglied der Herde da sein zu dürfen.

Durch ihn habe ich das erste Mal erfahren, was Liebe wirklich bedeutet. Mit all ihren Höhen und(!) Tiefen. [nbsp]In bewegten Zeiten zwingt er mich immer am Boden zu bleiben und die Ruhe zu wahren. Haben wir eine schwierige Aufgabe vor uns, so ist es doch nur eine Herausforderung, die genommen werden will. Auch wenn es manchmal etwas länger dauert. [nbsp]Und das ist es doch, was die Liebe wirklich ausmacht. Die Dinge gemeinsam zu überstehen und für sich zu lernen, auch wenn sich der Sinn dahinter erst sehr viel später zu erkennen gibt. Mir ist durchaus bewusst, dass so etwas nicht jedem wiederfährt. Umso dankbarer bin ich für alle schönen Momente mit meinem – zumindest für mich - besonderen Pferd Straumurson.

Lorena Dorsch,

Donauwörth, 17 Jahre